nach dem Roman von Ian McEwan
Theaterfassung von Paul Voigt und René Rothe
Übertragung und Bearbeitung aus dem Englischen von Paul Voigt
Uraufführung am 04. Juni 2010 im Societaetstheater Dresden
Teilnahme am Kaltstart/Fringe Festival Hamburg im Juli 2010
Eine Koproduktion des Societaetstheaters Dresden mit dem Ensemble La Vie
Die Inszenierung
Der Fokus der Inszenierung ist auf das familiäre Konstrukt zwischen den vier Kindern gerichtet. Sie bilden den inneren Kreis der Handlung. Alle anderen Figuren, die außerhalb dieser Konstellation agieren und wirken, sollen durch einen Schauspieler umgesetzt werden. Vater und Mutter werden mehr als Prinzipien verhandelt, die die „Ausgangsfamilie“ beschreiben und im Laufe der Geschichte wegbrechen und so zu der soziologischen Krisensituation führen, welcher sich die hinterbliebenen Kinder stellen müssen. Ähnlich wird auch die Figur des Derek verhandelt. Auch er ist ein von außen auf die Familie wirkender Faktor, der als störend empfunden und deshalb schließlich eliminiert wird.
Nicht die Familiengeschichte im klassischen Sinne steht im Vordergrund, sondern das Verhalten und Bilden von sozialen Strukturen in einem extremen psychischen Spannungsfeld.
Wie gelangen Julie und Jack zum Inzest, als schlussendliche Remanifestierung des klassischen Familienbildes, gestützt durch eine Vater- und eine Mutterfigur? Wie zeigen sich die Kompensationsmuster des Verlustes eines gewohnten sozialen Rahmens? Wo liegen für die einzelnen Figuren ihre Fluchtpunkte? Die Rückentwicklung Toms in ein frühkindliches Stadium, um den Bedarf nach elterlicher Fürsorge zu beschreiben und seine psychologische Flucht hin zur Verwandlung in ein Mädchen. Sues zunehmende Verschlossenheit. Ihr zwiegespalltener Reifeprozess, der immer wieder zwischen Teenager und reflektiertem Jungerwachsenen wechselt. Julies Versuch, über Derek einen zweiten Verantwortungsträger zu schaffen, da sie anfänglich nicht auf Jack als nächst älteren Geschwisterteil setzten kann. Ihr Umgang mit der rasant wachsenden Verantwortung in der Familie durch das lange Sterben und den Tod der Mutter. Und natürlich Jack selbst, dessen Selbstsicht und -wahrnehmung die Geschichte und ihre Erzählweise maßgeblich prägen. Sein pubertärverschobenes Verhältnis zu seiner Umwelt, sich selbst und seiner Sexualität, das sich über die Krise hinweg zu einem Partner für seine älteste Schwester und einem Halt für Tom und Sue entwickelt.
Die Geschichte
Ein Ehepaar mit 4 Kindern (in einer Spanne von Kleinkind bis fast Erwachsem) lebt in einem einzeln stehenden Haus mitten in einem Abbruchviertel. Die Familie ist isoliert von anderen Menschen. Der Kontakt zu Verwandten ist längst abgebrochen, die Schulkameraden der Kinder werden nicht eingeladen. Der Vater und Ernährer der Familie ist bereits krank, müde und gezeichnet vom Leben. Das Verhältnis der Kinder zum Vater ist sehr gespalten.
Bei dem Vorhaben, den Garten zu betonieren, stirbt der Vater. Nun beginnt die Mutter, die Familie zusammenzuhalten, aber sie ist unheilbar krank und wird in absehbarer Zeit auch sterben. Über ihren Zustand weiht sie nur Ihre große Tochter ein. Sie will, dass nach ihrem Tod die Kinder nicht auseinander gerissen werden und weiter im Haus leben. Als die Mutter bettlägerig wird, spielt sich das Familienleben im Zimmer der Mutter ab, bis sie stirbt. Aus Angst, durch die Behörden getrennt zu werden, verschweigen die Kinder ihre Situation und zementieren die Leiche der Mutter in einer Kiste im Keller ein. Es herrscht eine Ausnahmesituation in der aus Kindern bestehenden Familie.
Doch nicht nur die Gruppe kapselt sich immer mehr von ihrer Umgebung ab, auch jeder Einzelne ist in zunehmendem Maße der Isolation ausgesetzt.
Die Beziehungen zwischen den Geschwistern sind zunächst ungeordnet und wechselhaft. Zwischen den beiden ältesten Geschwistern kommt es zu starken Spannungen, weil jeder von ihnen das Familienoberhaupt sein möchte. Dazu kommt, dass Jack, der große Bruder, sich zu seiner zwei Jahre älteren Schwester Julie sexuell hingezogen fühlt. Die jüngere Schwester Sue zieht sich in ihre Welt zurück, welche daraus besteht, alles zu lesen, was in ihre Hände kommt. Alles, was sie bedrückt und bewegt, wird nicht ausgesprochen, sondern in ein Tagebuch geschrieben.
Der sechsjährige Tom fällt nach und nach ins Säuglingsstadium zurück. Erst verfällt die Küche und dann immer mehr auch das ganze Haus. Auf Initiative von Jack beginnen die Kinder nach einiger Zeit, den Haushalt aufzuräumen und es bilden sich Ansätze sozialer Strukturen heraus. Problematisch bleibt für die Kinder jedoch vor allem die Auseinandersetzung mit ihrer geschlechtlichen Identität. Neben der inzestuösen Liebe Jacks zu seiner Schwester konkretisiert sich das Thema außerdem in der aufbrechenden Konkurrenz zwischen Julie und Sue, sowie in dem Wunsch Toms, sich als Mädchen zu verkleiden.
In die immer mehr isolierte Gemeinschaft bricht die Außenwelt ein, als Julie ihren neuen Freund Derek ins Haus bringt. Vor ihm, der immer mehr in die Familie eindringt, lässt sich das große Geheimnis der Geschwister nicht mehr verbergen. Auch ist der Zementblock gerissen und der Leichengeruch macht sich im ganzen Haus breit. Jack und Julie haben Sex miteinander, um den Vater- und Mutterersatz gänzlich zu vollziehen, um den Familienhalt zu bestätigen und den Eindringling Derek zu beseitigen.
- Regie und Bühne: René Rothe
Dramaturgie/Akustische Bühne: Paul Voigt
Kostüme: Annemarie Hübner - Mit: Philipp Michael Börner, Sabine Melanie Rittel, Christin Wehner, Moritz Ross und Benjamin Kneser
- Fotos: Paul Voigt